Seid der rosarote Panther!

Jürgen Tetzlaff  verfügt über eine Eigenart, durch die er über das Fantastische hinweg zu einer völlig eigenständigen Formensprache  gelangt, aus deren Knospen er Blüten eigentümlicher Erzählungen zieht. Er bemächtigt sich dabei Bereichen beseelter Besessenheit. Seine Zeichnungen sind Ballungszentren der anderen Dinge und Mischwesen, und eine deutliche  Absage an festgefahrene Vorstellungen von Realität. Vielmehr zelebrieren sie die stimulierende Wirkung der Imagination auf unsere Lebenswirklichkeit.
Vor allem in der Malerei konfrontiert er die Betrachtenden zudem mit einem geradezu tollkühnen Kolorismus. Die Schraffuren, Flächen- und Linienverschlingungen, Flecken und Farbschlieren, die er zu Papier oder auf die Leinwand bringt, sind meistens hemmungslos bunt. Durch Verwischung und wiederholte Überlagerung unterschiedlicher Töne erzielt er optische Farbmischungen, die eine wahrhaftige Sensation im Auge verursachen. Das sind die Momente, in denen jegliches Narrativ aus seinen Bildern verschwindet.
Doch seine Szenerien und die aus ihrer Betrachtung resultierenden Erkenntnisse sind ohnehin weitschweifig und mysteriös. Bei den meisten seiner Zeichnungen steht eine gegenständliche Deutung außer Frage, aber verlässliche Schilderungen ausgemachter Umstände sind sie nicht - und wollen es auch nicht sein. Vielmehr vereinen sie Strömung und Gegenströmung unterschiedlich interpretierter Bilder.  Äußere Einflüsse nutzt er für seine zeichnerischen und malerischen Experimente, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen und gelangt so zu einer zutiefst persönlichen Bildsprache.
Er bemächtigt sich der Dimensionen, über die er verfügt, mittels des Phantasma und offenbart sich in subjektiven Kosmologien, die vermögen, uns ins Gedächtnis zu rufen, dass wir die Welt sind.

Christian Aberle, 2011/2021


Peter Sellers, 2007, Kohle und Pastell auf Papier, 42 x 29,7 cm

Enigma

Enigma – das titelgebende Wort griechischen Ursprungs für Rätsel beinhaltet immer auch die Suche nach dem Schlüssel, um eine codierte Chiffre auf ihren eigentlichen Inhalt hin zu prüfen. In der Einzelausstellung von Jürgen Tetzlaff im kjubh Kunstverein knüpft sich daran unweigerlich die intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand als Träger einer vermeintlich dahinterliegenden Botschaft.

Dieser bewusst gewählte Titel des in Köln lebenden Künstlers gewährt textuell einen ersten Einblick in das komplexe OEuvre, das konzeptuell mit der Abbildung auf der Einladungskarte beginnt und visuell den Ausgangspunkt der Ausstellung markiert. Das großformatige Ölgemälde Komplex aus 2016 mit seinem eigenwilligen und reichen Farbkosmos negiert die Figuration und lehnt sich formal an den Tachismus an, der sich in den 1940er Jahren aus dem französischen Informel in Paris entwickelte. Die visuelle Dichte des Gemäldes, das stolz dem Betrachter seine facettenreichen, von wirkungsvollem Orange kontrastierten Blaunuancen offeriert, mündet schließlich in einer Vielzahl von grünlichen Farbfeldern, punktiert von gelben und weißen Tupfern. Trotz des gestisch expressiven Pinselduktus‘ des Künstlers scheint das Bild ohne kompositorisches Zentrum und zeichnet sich vielmehr durch die Gleichwertigkeit aller Elemente im Bild aus. Gleichsam verhindert die Harmonie den neuronalen Impuls, die Farbflecken zu einem erkennbaren Gegenstand zu montieren. Sobald das Auge ein Muster zu erkennen glaubt, durchbricht ein scheinbar zufällig gesetzter Strich oder ein kleines komplementäres Farbfeld dieses Bemühen und führt den Betrachter subtil in eine neue Art der Bildbetrachtung. Mit der Negation der Montage zu konkreten Bildgegenständen führt Jürgen Tetzlaff den Rezipienten tiefer in seinen künstlerischen Kosmos. In diesem wohnt der zweidimensionalen Oberfläche eine melancholische Poesie inne. Dabei ist es unwesentlich, ob dezidierte literarische Impulse, reale Begebenheiten oder die intensive Reflexion zwischenmenschlicher Beziehungsgefüge als Inspirationsquelle bekannt sind. Die Gemälde Tetzlaffs besitzen eine Kraft, die vom Betrachter unmittelbar erfasst wird, die gleichermaßen eine intensive Studie fordert, ohne etwas von ihrer dynamischen Unmittelbarkeit zu verlieren.

Dagegen wirken die kleinformatigen Zeichnungen mit schwarzen Stift auf weißen Papier, in die sich primär die Farben rot, blau und grün mischen, als wollte Jürgen Tetzlaff kleine verschlüsselte Nachrichten übermitteln. Die feinen Schraffuren mit ihren kurzen stakkatohaften Strichen der motivisch mehr- bzw. uneindeutigen Zeichnungen wecken formalästhetisch Assoziationen an die Dessins automatiques, eines der künstlerischen Verfahren der Surrealisten, das einen ungebrochenen Zugang zum Unterbewusstsein gewährleisten sollte. Im Zuge des psychischen Automatismus entstanden die so genannten Cadavre Exquis, Ecriture automatique und Dessins automatiques, die als literarische und bildnerische Techniken begriffen wurden, um das Unterbewusste zu aktivieren und zu visualisieren. (1) Das rationale Denken und die Kontrolle durch den Geist sollten für die künstlerische Produktion weitestgehend ausgeschaltet werden, was man u. a. durch die Anwendung von Hypnosetechniken, Séancen, Schlafentzug beziehungsweise arbeiten im Halbschlaf, Spontanität oder Assoziationsketten zu erreichen suchte. (2)

Jürgen Tetzlaffs zeichnerische Arbeiten oszillieren zwischen geometrischer Ordnung und spontaner Skizze, welche die begonnene Geschichte in ihrer intendierten Narration selbst zu konterkarieren trachtet, und unterstreichen damit den unbewussten Teil der Werke. Hingegen scheint die Wahl des Titels Tom und Jerry aus 2014, des konzeptuell zentralen Blattes für die ausgestellten Zeichnungen, sinnbildlich auf einen gezielt gelenkten Teil des Dargestellten zu verweisen. Obwohl keiner der weltberühmten Comic-Kontrahenten auf dem Exponat zu erkennen ist, unterstreicht der Titel die Überspitzung einer natürlichen Ordnung, in der die Katze die Maus jagt. Darüber hinaus impliziert die innergeschichtliche Umkehrung, in der stets die Maus die Katze überlistet, deren geistige Überlegenheit bei gleichzeitiger körperlicher Unterlegenheit. Folgt der Rezipient der Spur des Titels, der die unsichtbare Geschichte in den Vordergrund stellt, offenbart sich die feinsinnige Konzeption des Künstlers. Betrachtet man die Zeichnung selbst, tritt die enigmatische Unmittelbarkeit mit aller Kraft in Erscheinung.

Nadia Ismail, 2016
Text zur Ausstellung Enigma, kjubh e.V., Köln


(1) Vgl. u.a.: Nadeau [1965]; Schneede, Uwe: Malerei des Surrealismus, Köln 1973; Spies, Werner; Merly, Isabelle: Die surrealistische Revolution. Ausst.-Kat. Surrealismus 1919 - 1944 K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 20. Juli bis 24. November 2002 u.a. Ostfildern 2002.; Spies, Werner: Der Surrealismus. Kanon einer Bewegung. Köln 2003; Schneede, Uwe: Die Kunst des Surrealismus. München 2006.

(2) Vgl. Poivert, Michel: Gedankenbilder. In: Bajac, Quentin (Hrsg.): Subversion der Bilder. Surrealismus, Fotografie, Film. Ausst.-Kat. Subversion des images Fotomuseum Winterthur u.a. Winterthur 2010. S. 43–48, 43 sowie Schneede [2006], S. 23 – 32.

Tom & Jerry, 2014, Kugelschreiber auf Papier, 29,7 x 21 cm


Von Einem der auszog das Fürchten zu lernen

"Hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst.“

Ausgehend von farbigen und schwarz-weißen  Zeichnungen entwickelt Jürgen Tetzlaff eine hintergründige Malerei. Wenn ich von Zeichnung spreche, will ich sie als die Grundlage  einer Vision oder Idee, als direkte und erste Aufzeichnung verstehen und hervorheben. Dabei spielt ein schwarzer Filzstift oder ein Stift neben dem Telefon eine Rolle. Durch feine Schraffuren und Striche entsteht das Bild der Vision. Die schwarzen Schraffuren erinnern an die von Kupferstichen. Durch sie lässt Tetzlaff surreale Räume und Figuren oder Wesen einer Geschichte entstehen, die uns noch unbekannt ist.

"ich will gerne was lernen; ja, wenn’s anginge, so möchte ich lernen, dass mir gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts."

Teztlaff schafft über und unter der Oberfläche eine vage und gleichzeitig klare Struktur. Ein Kreuz, eine angedeutete Diagonale, die dann wieder hinter der nach obenauf schwimmenden Farbigkeit zurücktritt. Das Verhältnis beider ist gleichgewichtig. Es entsteht ein tiefer nicht zu betretender Raum der die Sehnsucht freisetzt das Unmögliche, das Betreten nämlich doch zu versuchen.

"Wo bist du her?" "Ich weiß nicht." "Wer ist dein Vater?" "Das darf ich nicht sagen."

Die Zeichnung des schwarzen Filzstiftes zusammen mit Farbstift und Kugelschreiber erzeugt eine transparente Architektur, durch  die fein scheinende Figuren aufflirren. Die Farben sind hellblau und rosa.
Ein schöner Traum. Allein durch Farben, Schraffuren und Richtungen entstehen Formen, Flächen die aus einer Tiefe aufzutauchen scheinen und sich überlagern. In der Überlagerung sind unmerkliche Drehungen zu sehen.
Das Format ist in verschiedene geometrische Felder aufgeteilt, wie neu zusammengesteckt. In der Auswahl der Farben wird die fast hermetische Struktur leicht. Das Bild entwischt.

"Euch habe ich auf die Finger gesehen," sprach er, "da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,"

Dann wieder eine Zeichnung, schwarz-weiß. Ein Ornament wird ein Mensch. Oder umgekehrt? Die Figur wirkt wie gefasst in einer Struktur, die sie hält. Ihr Kopf steht frei.
Die Wesen in Tetzlaffs Zeichnungen nehmen uns mit. Und es ist nicht klar wohin. Auch wenn es unheimlich oder grausig ist, macht es gerade an dahin mitzugehen, also ihnen wer immer sie sind zu folgen.

"Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein."
Da antwortete er: "So bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer."


Den Gemälden stehen wir direkt gegenüber. Hier gibt es keine figürlichen Mittler aber  während hier eine Welt anmutet die zu betreten eine fast paradiesische Vorstellung wach hält,  arbeitet Tetzlaff mit graffitiartigen Signaturen die auf der Oberfläche des Bildes zu liegen scheinen. Diese Botschaften oder Skripts verbergen das dahinter Liegende. Damit wird einerseits eine Warnung ausgesprochen andererseits eine Sehnsucht geweckt. Wie es auch ist, es bedarf Mut das, was dahinter ist zu betreten, denn es sind Höllen wie Gärten. Man kann etwas schreien sehen. Dynamische fast explodierende Formationen wie hermetische stille Gebilde die eine endzeitliche  Ruhe ausstrahlen. Nichts von allem ist wirklich ruhig. Alles liegt wie vor dem Sturm. Eine enorme Spannung. Es scheint fast als wären wir angekommen.

"Recht so," sprach er, "nur besser zu." Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über die Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal hopp, hopp! warf es um, das unterste zu oberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag.

Melas Eichhorn, 2013


Zitate: Märchen von einem der auszog das Fürchten zu lernen, in: Kinder und Hausmärchen, gesammelt durch die Gebrüder Grimm, Sonderausgabe Artemis & Winkler, 1993



Illustration von Albert Weisgerber, 1910